Rauschen

Wald

Begegnung

Er trat voll in die Pedale. Es machte Spaß, den Wind auf der Haut zu spüren. Auch wartete das kühle Dunkel des Waldes verlockend vor ihm. Die Sonne brütete die Felder um ihn herum. Da versprach das Laubdach der dicht an dicht stehenden Bäume Linderung vor der Mittagshitze. Er sah über sich den Blättern zu, wie sie sich gefräßig über den Himmel hermachten. Das tiefe Blau wich sattem Grün, hell leuchtend dort, wo die Sonne nur etwas verdeckt wurde, fast schon schwarz abseits des Weges weit in den Tiefen des Waldes. Die frische Kühle tat seinem kleinen Körper gut. Mit neuer Energie stürmte er den Berg hoch, den sein Vater eine Moräne nannte. Oben angekommen erkannte er in der Ferne schon den Lichtfleck. Seine Lichtung. Ein von den Erwachsenen vergessener Ort. Der alte Mathes holte damals duftendes Heu aus dieser Waldoase. Er erinnerte sich an den bellenden Traktor und den klappernden Ladewagen. Er durfte oft mitfahren. Immer dann fühlte er sich als etwas Besonderes. Es war wunderschön. Nach Mathes Tod fuhr der Traktor nicht mehr. Seine Kinder seien weit verstreut und keiner hätte Interesse an dem Hof, meinte sein Vater. Sie stritten sich wie Bettler, sagte seine Mutter. Währenddessen wucherten die Pflanzen über das alte Bauernhaus und das Dorf teilte sich die Felder des Alten. Nur dieser eine magische Ort mitten im Wald wollte niemand haben. Zu klein für die großen Maschinen. Schon der Weg dorthin war kaum breit genug für die Elefanten aus Metall. So verschwand die Lichtung aus dem Gedächtnis der Gemeinde. Sie wurde zu seinem Zimmer im Wald. Weit abseits das tagtäglichen Lärms bastelte er an einer Hütte und lauschte dabei den Grillen.
Er freute sich schon auf den Duft der hohen Wiese und die vielen Tiere und Tierchen, die es sich dort gemütlich gemacht haben. Doch noch bevor er wieder aus dem Wald herauskam, bemerkte er, dass heute etwas anders war als sonst. Er fühlte es deutlich. Jemand war ebenfalls hier! Kurz vor der Lichtung stieg er leise von seinem Fahrrad ab und versteckte es vorsichtig im Gebüsch am Wegesrand. Langsam schlich er sich auf die Waldwiese. Im Grasmeer trieb ein riesiger Wurzelstock. Der Überrest einer Ulme, die irgendwann einmal keine Kraft mehr hatte, sich gegen die Stürme zu stemmen. Ihr Holz hat Mathes im Winter gewärmt, ihre Wurzeln blieben und verwandelten sich langsam in die Hütte des Jungen. Heute ließ er sein Refugium links liegen. Schritt für Schritt tastete er sich voran. Er atmete kaum, achtete auf jedes noch so leise Geräusch. Da war aber nur das Summen der Bienen, die fleißig Blüten bestäubten. Er bemerkte, dass etwas Wind aufgekommen war. Die Bäume rauschten leise im Hintergrund. Doch sonst war da kein verdächtiges Geräusch. Irgendjemand ist hier.
Über dem hohen Gras schwebte etwas. Eine hellbraune Kugel. Erst jetzt fällt sie ihm auf. Sie bewegt sich nicht. Wie in der Luft festgenagelt. Zwei Schritte weiter erkannte er den dünnen Strich, auf dem die Kugel stand. Das Wunder blieb aus.

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